Der Eimer


Oder warum Erfahrungen besser als Erziehung sind


Eines Tages am dänischen Herbststrand, es ist kalt, dicke Jacke, Gummistiefel und Mütze oder Stirnband sind angesagt. Der vierjährige Sohn buddelt Löcher in den Sand, die er mit Wasser aus dem Meer füllt.

Leider wird der Eimer nicht so voll, wenn Sohnemann ihn selbst füllt. Aber weiter raus kann er nicht gehen, dafür sind seine Stiefel zu kurz. Doch der Eimer muss voll werden...

"Papa!"

"Ja?"

"Hol mal den Eimer!"

"Den Eimer? Du hast doch einen Eimer!"

"Nee, der schwimmt da!"

"Wo??"

"Da hinten, hol den endlich raus!"

"Ach da! Das ist zu tief, dafür sind meine Stiefel zu kurz!"

"Papa, ich will den Eimer wiederhaben!"

"Den holt da keiner mehr raus. Guck mal, der treibt Richtung Meer!"

Sohn schreit: "Papa, ich will den Eimer, sofort!"

"Der geht gleich unter. Aber da komme ich wirklich nicht hin!"

Sohn weint: "Papa, mein Eimer ist weg!"

"Ja, der ist da hinten untergegangen."

Sohn weint heftiger: "Papa, mein Eimer ist weheg!" "Der Aaimaha!!" ...

Und was unternimmt ein liebender Papa jetzt?
In das eiskalte Wasser springen und den Eimer unter Einsatz der eigenen Gesundheit herausholen?
Schnell einen Ersatzeimer beschaffen?
Wie die Feuerwehr in das nächste Geschäft rasen und einen neuen Spieleimer kaufen?
Den Sohn trösten: "Wir kaufen morgen einen neuen Eimer!" ?

Oder sich aufregen?
Wie kannst du nur so blöd sein, den Eimer einfach ins Meer zu werfen!!
Hilft natürlich auch nichts, denn das kann den Eimerwurf ja nicht mehr rückgängig machen ... Aber es erzeugt super Spannungen und macht den Sohnemann erst richtig wütend!

Am besten unternimmt Papa also jetzt ...
gar nichts. Trauern? Trösten? Wegen eines Eimers?

In den nächsten Tagen kann Papa dann ja ohne viel Aufhebens einen neuen Spieleimer kaufen. Auf den wird der Sohn bestimmt besser aufpassen...


Einige werden jetzt sagen: Wie herzlos! Das Kind einfach in seiner Trauer allein zu lassen!

Aber so lernt es am besten, im Voraus die Konsequenzen seiner Handlungen einzuschätzen und sich bei Misserfolgen wieder selbst zu beruhigen. Dass Väter auch nicht alles reparieren. Und dass Eimer nicht so wichtig sind. Und dass man trotzdem auf seine Sachen aufpasst.

Und besser jetzt den Eimer im Meer versenkt als später Papas neues Auto ...


Übrigens: Papa hatte seinem Sohn mehr als einmal erklärt, dass das Wasser jetzt zu kalt ist, um ohne Stiefel tiefer ins Wasser zu gehen. Und dass man auf seine Sachen aufpasst. Und dass nicht alles schwimmt. Und dass man erst nachdenkt und dann handelt.

Was hat's genützt? Nix!

Aber der Ersatz-Eimer wird auch heute noch, viele Jahre später, zum Strand mitgenommen.


Ralf Peine, 2010